Artikel
vom
13.8.22
Ein Plädoyer für die These, dass die offiziell ausgewiesene Inflation wieder abflachen wird – allerdings nur für kurze Zeit.
Heisst das, dass die Notenbanker eingangs richtig lagen und sich die Inflation in Luft auflösen wird? Natürlich nicht. In diesem Artikel befassen wir uns mit der Möglichkeit, dass die ausgewiesene Inflation während den nächsten sechs bis zwölf Monaten seitwärts gehen oder gar stagnieren wird. Im Anschluss dürfte sie wieder satt anziehen.
Wichtig: Dies ist ein Blick in die Glaskugel und der Sachverhalt kann nicht komplett isoliert werden. Gründe dafür sind neben der immensen Komplexität auch Sondereffekte (z.B. der deutsche «Gas-Wahn» sowie weitere protektionistische und geopolitische Spielchen) und die Kreativität unserer Regierungen (z.B. Neun-Euro-Tickets, kurzfristige Treibstoffsubventionen, Zinsmanipulationen etc.). Betrachten Sie diesen Artikel als Meinungsäusserung.
PS: Zieht man zur Meinungsbildung Fakten heran, so ändert das nichts an der Tatsache, dass es sich nach wie vor um eine Meinung handelt. Das scheint in der Politik nicht jeder wahrhaben zu wollen.
An dieser Stelle möchten wir keinen über die Definition des Geldes und dessen Herkunft langweilen. Trotzdem müssen wir uns auf ein paar Basics berufen:
1. Geld ist Bankkredit
Das, was wir gemeinhin als «Geld» bezeichnen, ist Kredit (auch Bargeld wird von der Zentralbank nur gegen staatliche und andere Schuldpapiere herausgegeben; zieht man alle Schulden aus dem System, bleibt eine Geldmenge von null). Der absolute Grossteil des ausstehenden Kredits ist nicht, wie gemeinläufig angenommen, die Zentralbankgeldmenge oder deren Bilanzsumme. Es sind Bankkredite. Geld wird primär – zu weit über 90% – von kommerziellen Banken bei der Kreditvergabe aus dem Nichts geschöpft. Das Thema würde den Rahmen des Artikels hier sprengen. Doch ein guter Anhaltspunkt ist das Buch «where does money come from?» von Prof. Richard Werner.
2. Kredite für Produktiv-, Finanzierungs- und Konsumzwecke
Was schafft einen volkswirtschaftlichen Mehrwert? Die kurze Antwort lautet Kredite, welche für produktive Zwecke vergeben werden (und anschliessend mehr als den Nennwert plus Zins in der Wertschöpfung produzieren). Das Problem? Es ist riskant, der Due Diligence Prozess mühsam und das Kreditvolumen nicht immer gross. Geht die Rechnung allerdings auf, so steht einer höheren Geldmenge auch eine höhere Gütermenge gegenüber. Es ist die lehrbuchmässige Symbiose, die Wohlstand ohne Inflation erzeugt.
Dem stehen Finanzierungs- und Konsumkredite gegenüber. Letztere sind simpel: Die Geldmenge wird bei gleichbleibender Gütermenge erhöht, die Preise steigen. Kredite für Finanzierungszwecke sind der Bankens Liebling: Man nehme grosse Mengen an einfach zu bewertenden Vermögenswerten als Kollateral, schöpft dagegen Kredite (z.B. Hypothekar- oder Lombardkredite) und erhält ohne grossen Aufwand Zinserträge im grossen Stil. Wie wir in Folge der Finanzkrise in Zusammenhang mit QE («quantitative easing») gesehen haben, bleibt dieses Geld in den Finanzmärkten. Dort hebt es die Preise beziehungsweise führt zu Spekulationsexzessen – aber, wichtig, es hat keinerlei Auswirkungen auf den Teigwarenpreis.
3. Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen
Buchhalterisch ist der der ganzen Wirtschaftstheorie zugrundeliegende Satz genauso banal wie der oben genannte Sachverhalt «die Schuld des einen ist das Guthaben (oder Vermögen) des anderen»: Ein Nullsummenspiel. Wird etwas ausgegeben, verschwindet das Geld in der Regel nicht – es wechselt lediglich den Besitzer. Da man mithilfe von Krediten nun mehr ausgeben kann als man eingenommen hat, erhöht sich das Einkommen des anderen überproportional. Dieser kann wiederum mehr ausgeben als er eingenommen hat. Auch dieses Thema ist deutlich komplexer. Der interessierte Leser kann sich auf YouTube dem Video «how the economic machine works» von Ray Dalio widmen.
Dieser dritte Punkt führt uns direkt zur Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Diese besagt im Grunde genommen, wieviel Geld in einer Periode den Besitzer gewechselt hat. Das Bruttoinlandprodukt stellt die gesamten Umsätze (Einnahmen oder eben «den Besitzer gewechselt») einer Volkswirtschaft dar. Die Geldmenge ist die Summe aller offiziell zu akzeptierenden Zahlungsmittel. Das Verhältnis der beiden ergibt somit die Umlaufgeschwindigkeit.
Die untenstehende Grafik zeigt die Entwicklung der Bankkredite, welche die Parallelwirtschaft der Banken verlassen haben und sich somit als «Geld» im Umlauf befinden. Die Unterscheidung der Laufzeit (grün bzw. schwarz) ist für uns von vernachlässigbarer Relevanz. Uns interessiert die Veränderung aller dieser Kredite (orange Linie).
Wir sehen, dass mit den Lockdowns und Notkrediten im zweiten Quartal 2020 eine Rekordmenge an Geld geschaffen wurde. Da die Wirtschaft gleichzeitig abgewürgt war, wechselte es den Besitzer nicht und staute sich an. Diesen Sachverhalt kennen Sie zur Genüge aus den Medien. Die Vergaben flachten nach diesem schlagartigen Anstieg wieder ab und begannen erst Ende letzten Jahres wieder deutlich anzuziehen.
Für das Verständnis des Lesers ist an dieser Stelle wichtig zu wissen, dass im Rahmen der Regulierungen und Hilfspaketen seit der Finanzkrise die Banken de facto refinanziert wurden. Heute haben diese so viele Reserven wie nie zuvor und damit ein immenses Potenzial zum Schöpfen neuer Kredite. So können wir aus dem jüngsten Anstieg schliessen, dass die Kurve so schnell nicht wieder abreissen muss (denn die Zinsen, oder Kosten für diese Kredite, werden nur unzureichend erhöht).
Die Konsumentenpreisinflation misst die Veränderung des Preises eines vordefinierten Warenkorbs im Vergleich zum Vorjahr. Der Warenkorb sollte sämtliche Einkäufe des durchschnittlichen Bürgers zusammenfassen.
Beispiel: Berechnung der CPI
Berechnen wir die jährliche Preisveränderung, so können wir dies für das hier beispielhafte zweite Jahr (Quartal vier bis acht) tun, da uns davor die Basis fehlt.
Sie sehen hier drei rein mathematische Effekte:
1. Der Basiswert (Preisniveau vor einem Jahr) ist genauso wichtig wie das aktuelle Niveau.
2. Erfolgt die Inflation sprunghaft, so schockieren die Zahlen nicht in jeder Publikationsperiode.
3. Es kann eine negative Inflation ausgewiesen werden, auch wenn im aktuellen Jahr der Preisindex zu keinem Zeitpunkt gefallen ist.
Neben den im Beispiel erwähnten Basiswerten führt auch die zurzeit sehr tiefe Geld-Umlaufgeschwindigkeit zu Verzögerungen. Momentan geht man von 12 bis 18 Monaten aus.
Die Inflationsraten werden auf internationaler Ebene meist mit dem «harmonisierten» Index verglichen (auch wenn die Bürger in unterschiedlichen Ländern im Schnitt nicht denselben Warenkorb haben).
Aktuelle Zahlen der Eurozone:
https://www.ecb.europa.eu/stats/macroeconomic_and_sectoral/hicp/html/index.en.html
Aktuelle Zahlen der Schweiz (und der Eurozone als gesamtes):
https://www.bfs.admin.ch/bfs/en/home/statistics/prices/harmonized-consumer-prices.html
Zusammensetzung des Warenkorbs:
https://www.bfs.admin.ch/bfs/en/home/statistics/prices/harmonized-consumer-prices.assetdetail.21504212.html
Aus den obenstehenden Abschnitten können wir wie folgt zusammenfassen: Neue Bankkredite, die den Finanzsektor verlassen, treiben die Inflation mit einer Verzögerung von rund 12 bis 18 Monaten. Die Korrelation ist stabil und aussagekräftig. Ziehen wir die offiziell verwendete Methode zur Kommunikation der Inflation, die jährliche Veränderung und nicht den Preisindex, heran und berücksichtigen die gut eineinhalbjährige Periode geringen Kreditwachstums bis in den Herbst 2021, so können wir daraus schliessen, dass – wenn alle anderen Faktoren ähnlich bleiben – die offiziell ausgewiesenen Inflationszahlen wieder zurückgehen werden. Dies, ohne dass der Preisindex zurückgehen muss und lediglich auf Sicht von maximal einem Jahr. Danach wird unsere liebe Inflation weiter anziehen – und zwar in sattem Tempo. Jeder, der nach dem ersten Rückgang der Zahlen zu feiern oder sich selbst auf die Schulter zu klopfen gedenkt, dürfte sich deutlich zu früh gefreut haben.
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